ins Hippie-Paradies, hin und zurück Teil 1
Amos 8,11-13
Es war ein langer Weg. Ich wußte erst garnicht, was ich suchte. Ich hatte Zeit und wollte nicht mehr in Deutschland leben! Und als guter Hippie war das Ziel klar.
Der Prophet Amos (in der Bibel) hat diese Zeit vorhergesagt!
Amos 8,11-13
Und der Apostel Paulus sagt, dass wir zu den stummen Götzen hingezogen, geraubt wurden! Ja. Indien ist voll von Götzen!
Doch dann fand ich Jesus, den Sohn Gottes! Dank sei Gott!
"Siehe Tage kommen, da werde ich (Gott) einen Hunger ins Land senden, nicht einen Hunger nach Brot oder einen Durst nach Wasser, sondern danach, die Worte des Herrn (Gottes) zu hören. Und sie werden wanken vom Meer zu Meer und vom Norden bis zum Osten. Sie werden umherschweifen, um das Wort des Herrn zu suchen und werden es nicht finden. An jenem Tag sinken die schönen Jungfrauen und die jungen Männer vor Durst ohnmächtig hin."
Ich hatte bis 1973 Haare bis zum Ellbogen! Danach, als mein Haar schulterlang  geschnitten wurde, war es ein echtes Erlebnis, als ich am nächsten Morgen  mit dem Kamm durch das Haar fuhr: Soooo kurz!
Ja, der Propheet Amos hatte Recht: wir waren jung und sanken vor Durst ohnmächtig hin. Wir, Sarah und ich, Tobias. Ich war gerade mal 21 Jahre und Sarah 18 Jahre alt, und wir suchten, wussten aber nicht, dass wir eigentlich Gottes Wort suchten. Gottes Wort ist die Wahrheit und heilt von all den Verletzungen, die durch Lüge und (Macht)missbrach in einem Menschenherzen geschlagen wurden und werden.
Auch gehörten wir zu den Jugendlichen, die vom "Norden bis zum Osten" wankten. Viele Bekannte wankten vom Meer zu Meer, aus Übersee nach Indien, Osten. Doch gefunden haben sie alle dort nicht das, wonach sie Durst und Hunger hatten - es sei denn, sie begegneten Christen.
Ein Freund, der ebenfalls in Indien war, kam körperlich krank zurück, ein anderer geistig krank. Als ich in Kabul (Afghanistan) westliche Jugendliche traf, die noch dreckiger aussahen als die einheimischen Kinder auf der Strasse, da bekam ich Furcht, ob wir ebenfalls so abwracken werden. Wir zogen aus, um Echtes zu finden und fanden nur stumme, tote Götzen des Sterbens, vergoldet in Slums! Paulus beschrieb die Suche so: wir wurden zu stummen Götzen hingeschleppt und fortgerissen.
 
Hier nun unsere Geschichte. Ich hoffe, dass auch Du gerne Geschichten liest.
 
Während das offizielle Amerika gerade mit Apollo 14 zum dritten Mal Menschen auf den Mond geschickt hatte, kehrte ihnen die Jugend den Rücken, verweigerte sich dem Ernst des Lebens und verkündigte die Parole: „Make Love - Not War!".
Feierte man auf der einen Seite im Weltraum zweifelhafte Erfolge, so geriet das Engagement der USA in Vietnam zu einem Fiasko, von dem sich vor allem die Jugend immer mehr distanzieren wollte und dies durch Verweigerung sämtlicher Konventionen und die neue, friedliche Lebensform des Hippietums zum Ausdruck brachte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis diese Welle, wie schon andere zuvor, auch Europa überrollte und jeden Hippie, der etwas auf sich hielt, in die Gefilde Indiens spülte.
Wir schrieben also das Jahr 1971 und dem Gesetz zufolge erklärte man mich mit 21 Jahren für volljährig. Mein Großvater, der mich immer davon hatte überzeugen wollen, dass man es zu etwas brächte, wenn man nur fleißig lernte, fand nach seiner Pensionierung gerade mal soviel Sinn in seinem Leben, dass er seinen Lebensabend damit verbrachte, Schulhefte ehemaliger Schüler wieder und wieder zu korrigieren.
Dieses Paradebeispiel sinnverlorener Bankrotterklärung vor Augen, wollten Sarah und ich allem Streben nach materiellen Dingen um uns herum zum Trotz unserem unerfüllten Leben einen auf indische Weisheiten gegründeten tieferen Sinn verleihen. Als ein Hippie, der etwas auf sich hielt, musste man einfach von einem indischen Guru in tiefere „Weisheiten" und zum wahren Sinn des Lebens geführt werden. Die Beatles hatten ja ebenfalls ihren "Privat-Guru".
Und so fühlten wir uns wie Graalsritter, als wir an einem Nachmittag im Juni unserem Heimatort Riegel am Kaiserstuhl/Baden den Rücken kehrten und uns in Begleitung unseres Freundes Peter mit wenig Geld (gerade mal 300,--Euro), aber guten Mutes auf Pilgerfahrt begaben. Welche Gedanken meiner Mutter, die uns in der Alemannenstraße vom Haus aus nachblickte, damals durch den Kopf gingen, kann ich heute gut nachempfinden (man muss ja erst mal "alt" werden, um einiges besser zu verstehen).
Wir starteten per Anhalter auf der Autobahn in Richtung Karlsruhe und schafften es bis zum Abend, das Karlsruher Dreieck zu erreichen, wo wir die Richtung München einschlagen wollten. Sehr weit hatten wir es am ersten Tag nicht geschafft, aber wir stellten unverzagt unser schweres Baumwoll-Drei-Mann-Zelt auf und trampten am Morgen nach München.
In der bayerischen Metropole trafen wir zwei Weltenbummler aus England. Man sah ihnen die Tramp-Erfahrung auf den ersten Blick an, denn sie hatten die Beine ihrer Jeans abgetrennt und zeigten uns, dass man die Hosenbeine bei kälterem Wetter mit Sicherheitsnadeln schnell anheften konnte. Nach dem obligatorischen Aufenthalt im Englischen Garten, begleiteten wir sie an den Chiemsee, wo wir eine Nacht campierten.
Am nächsten Tag durchquerten wir schnell verschiedene österreichische Bundesländer und kamen abends in die Nähe der Italienisch-Jugoslawischen Grenze. Kurz vor Villach luden uns junge Leute in ihren Partykeller zum Übernachten ein, da sie uns als „hohe Gäste" betrachteten.
Auf der Fahrt nach Rijeka, die uns durch Italien führte, pressten wir uns zu viert mit unseren drei Rucksäcken und weiteren Taschen in einen FIAT 500, nichts ahnend, dass es noch viel, viel schlimmer kommen sollte.
In der Stadt benutzten wir dann den öffentlichen Bus, der uns auch aus der Stadt Richtung Süden brachte.
Auf der jugoslawischen Küstenstraße führte uns der Weg über Split nach Dubrovnik. Unsere Eindrücke schwankten von Monotonie bis Entzücken auf diesen tausend Kilometern bis zur nächsten, längeren Rast. Ich kann mich noch an den Anblick erinnern, der sich uns bot, als wir runter in die Einmündung des Neretva-Tales, das von Mostar herunter führt, kamen. Welch eine fruchtbare Landschaft. Wir kauften uns an der Strasse frisches Obst. Es war, wie wenn man aus der Wüste käme. Wenn man sich vorstellt, dass wohl die ganze Küste bewaldet war, aber das Holz für Schiffe gebraucht wurde, dann kann man nur mit einem Beigeschmack der Entrüstung diese Küstenstrasse entlang fahren. Wie schön muss es doch gewesen sein, als noch keine Machthaber Macht hatten.
In der Altstadt von Dubrovnik wandelten wir auf Marmorstrassen, badeten am Strand und pennten außerhalb der Stadt mit anderen „Freaks". Aber selbst dort hatten wir die Kurtaxe zu entrichten.
Hier in Dubrovnik entschloss sich Peter, unser "3. im Bunde", nach Deutschland zurück zu kehren und wir begleiteten ihn ein paar Kilometer zurück an einen kleinen Strand, um noch ein paar Tage mit ihm verbringen zu können. Später wollte er mit einem Auto nach Indien nachkommen.
Von dort brachen wir nun zu zweit über Mostar und Sarajevo Richtung Belgrad auf. Mit zwei Rucksäcken beladen, meinen eigenen auf dem Rücken und Sarahs vorne über der Brust fanden wir uns auf einer Trampstelle nach Subotica ein. In München hatten wir einen Jungen kennen gelernt, der uns seine Adresse in Subotica genannt hatte, die wir aufsuchen wollten. Da wir jedoch sehr spät nach Subotica gelangten, lud uns unser Fahrer in sein Ferienhaus zum Schlafen ein, das in einem Wald vor der Stadt lag.
In der Folge trafen wir an der angegebenen Adresse weder den Jungen, noch seine Eltern an und schliefen deshalb kurz entschlossen auf ihrer Veranda. Freundliche Nachbarn luden uns zum Essen ein und reichten allerlei Speise und Getränke über den Zaun.
Als die Eltern dann eintrafen, erlaubten sie uns, noch zu bleiben, bis ihr Sohn aus Deutschland zurückgekehrt war. Er selbst wohnte in einem Hochhaus und ließ uns dort im Keller schlafen.
In unseren Schlafsäcken auf dem Boden liegend, die Gitarre in Reichweite gingen unsere Gedanken nun schon mal auf die weitere Reise nach  - INDIEN.
Die folgende Station auf diesem Weg war dann bereits in Griechenland Saloniki. Ein griechischer Gastarbeiter, der uns freundlicherweise mitgenommen hatte, lud uns dort in ein Hotel ein und spendierte uns auch noch das Abendessen, zu dem wir griechischen Wein kosten durften, der etwas gewöhnungsbedürftig nach dem Harz im Fass schmeckte.
Jedenfalls waren wir nun nahe der türkischen Grenze angekommen.
 
Es begann mit einer Übernachtung auf offenem Felde zusammen mit Leuten, die nach Istanbul fuhren und uns mitnahmen. Die dort vorherrschende Landschaft sah gelb und verdorrt aus, ein Anblick, der uns noch eine ganze Weile begleiten sollte.
Lauter und lebhafter Verkehr empfing uns in der einzigartigen Stadt am Bosporus. Irgendwie wurde mir hier bewusst, dass pulsierendes Leben dort zwangsläufig mit einer für uns ungewohnten Geräuschkulisse untrennbar verbunden sein musste. Die orientalischen Verhältnisse suggerierten eine gewisse Nähe zu Indien und wir mussten uns erst bewusst werden, dass uns noch ganze 5000 km von unserem Ziel trennten.
Der eigentliche Kulturschock ereilte uns allerdings erst, nachdem wir auf einer Fähre den Bosporus überquert hatten und erst jetzt in die wirkliche, orientalische Welt eintauchten.
Dort, wo wir zu trampen versuchten, versammelte sich eine große Menge Menschen, die in weiße Tücher gehüllt waren. Das ließ nichts Gutes erahnen und als dann endlich ein Mercedes hielt, stürmten alle hinzu und starrten den Fahrer erwartungsvoll an.
Doch bevor sich die Verzweiflung in uns breit machen konnte, weil wir befürchten mussten, so nie weiter kommen zu können, gab uns die winkende Hand des Fahrers das erlösende Signal. Er befand sich auf dem Weg nach Riad in Saudi Arabien. In München hatte er das Auto gekauft und nun brachte er es zu sich nach Hause.
Die Route führte über Ankara hinunter ans Mittelmeer nach Mersin. Dies bedeutete zwar einerseits einen Umweg, aber wir nahmen bereitwillig die Gelegenheit wahr, eine Badeunterbrechung einzulegen. Außerdem hatte uns ein Türke am Hbf. in München Grüße an die Seinen in Mersin mitgegeben.
Zuvor will ich noch eine Begebenheit in Ankara schildern, bei der wir um ein Haar in eine Schlägerei verwickelt worden wären. Wir wollten mit unserem Fahrer, dem Araber, etwas zu Essen einkaufen.
Die Konfrontation der islamischen Welt mit der Freiheit des Westens, repräsentiert durch meine langen Haare und die ärmellose Bluse von Sarah war eine offensichtliche Provokation, die man nicht hinzunehmen bereit war.
So wurde unser arabischer Begleiter auch alsbald angerempelt, mit dem Ziel, eine Prügelei vom Zaun zu brechen. Er jedenfalls hatte es so verstanden. Deshalb schickte er uns vorsichtshalber ins Hotel zurück, das uns nebenbeibemerkt umgerechnet 5,- Euro kostete.
Vom Einkauf zurück, zeigte er uns, wie man einen Turban wickelt und riet Sarah, die Arme künftig zu bekleiden.
Am nächsten Morgen ging es ans Mittelmeer. Ab jetzt trug ich einen Turban!
Die Landschaft wurde interessanter. Wir picknickten im Schatten eines Baumes am Straßenrand und er erzählte uns von seinem Glauben, bei dem die Familie und die Gastfreundschaft eine große Rolle spiele. Es gab im Verlauf unserer gesamten Reise noch viele Gelegenheiten, bei denen Menschen uns von ihrem Glauben erzählten. Dabei bekannte ich stets den christlichen Glauben und berief ich mich darauf, dass Jesus schließlich ebenfalls langes Haar getragen habe.
Gegen Abend trennte sich unser Weg, da er in Richtung Syrien und wir weiter südlich nach Mersin wollten. Da ich weiterhin meinen Turban trug, fragten mich die jungen Leute, die uns mitnahmen, ob ich eine Kopfverletzung hätte.
In Mersin half uns ein Droschkenfahrer, die Adresse zu finden, die wir aufsuchen sollten, um die aufgetragenen Grüße zu übermitteln. Erfreut, von ihrem Mann zu hören, bat uns seine Frau in ihr Haus. Um einen zusammenklappbaren, runden Tisch am Boden sitzend, nahmen wir ein Mahl ein. Als ich den Turban löste, fiel zum Erstaunen unserer Gastgeberin mein langes Haar herunter.
Aber auch auf mich wartete das Unfassbare: Kein Klopapier auf der Toilette! Unverrichteter Dinge schlich ich zu Sarah zurück an den Tisch, um es ihr zu berichten. Die Gastgeberin, die dies vernahm, klärte uns auf: es gäbe neben dem Klo doch einen Wasserhahn und eine Blechbüchse!?
Schon der Gedanke daran, Fäkalien mit der nackten Hand wegwischen zu müssen, ließ mich ekeln. Konnte man sich daran tatsächlich gewöhnen? Zaghaft und angewidert probierte ich es aus und irgendwie ging es dann doch.
Die Frau erlaubte uns noch etliche Tage bei ihr und den Kindern zu bleiben und wir waren die einzigen Westler, die sich im Wasser von der Hitze erholten.
Nächste Station auf unserem Weg sollte der Vansee sein.
Irgendwo in den Bergen klebte ein Dorf förmlich an der Bergformation. Unser Lkw-Fahrer erklärte uns, er habe etwas dort in dem Dorf zu erledigen, wolle uns aber dann weiter mitnehmen und ließ uns unter einer Brücke zurück, die uns vor der gnadenlos niederbrennenden Sonne Schutz bot.
Ein zufällig vorbeifahrender Lkw hielt an, der Fahrer wollte uns mitnehmen.
Da er wenig vertrauenserweckend aussah, erklärten wir ihm, dass wir verabredet wären. Er meinte aber, er käme in einer halben Stunde wieder vorbei. Da fingen wir an zu beten, Gott möge doch schnell unseren bereits bekannten Fahrer oder wenigstens einen, der vertrauenserweckender aussah, schicken. Offenbar erhörte Gott das Gebet! Der Fahrer kam wieder und nahm uns weiter mit.
Wir wurden irgendwo in einem Ort im Nirgendwo verabschiedet und kannten uns nicht mehr aus, in welche Richtung wir zu gehen hatten. Wir trauten uns aber auch nicht, stehen zu bleiben, um zu fragen, da sich immer mehr Menschen um uns scharrten, die uns wie „bunte Hunde" bestaunten. Irgendwann wussten wir jedoch wirklich nicht mehr, wohin und blieben stehen. Augenblicklich waren wir umzingelt. In meiner Not warf ich die Frage in die Menge, ob irgend jemand Deutsch verstehen würde.
Eine Stimme aus der Masse verkündete stotternd, dass er in Deutschland bei Ford gearbeitet hätte und daher unsere Sprache verstehen und sprechen könne. Er bahnte sich einen Weg durch die Menge und es folgte eine herzliche Begrüßung. Anschließend nahm er uns in seinem Auto mit zu sich nach Hause. Sein Haus hatte einen schönen Innenhof, wo man abends zusammen saß und speiste. Die Schlafstellen waren in die Wand eingelassen.
Abends besuchte ihn ein Nachbar. Er war ziemlich korpulent und saß in weißen Tücher eingehüllt mit gekreuzten Beinen wie ein Pascha auf einem Kissen. Ich konnte es nicht fassen, als ich erfuhr, dass er drei Frauen „besaß". Zwar hatte ich schon von der orientalischen Polygamie gehört, aber war bis dahin noch nie damit konfrontiert worden.
Am nächsten Tag fuhren wir weiter. Wir kamen an  eine Straßengabelung. Nach rechts führte eine geteerte Straße, während nach links aufwärts eine nur mit Kies eingeebneten Straße weiterführte. Dieser Kiesweg sollte unsere Strasse sein? Kurz darauf, als ich mich in einem türkischen Kaffeehaus an der Weggabelung erkundigen wollte, näherte sich ein Tanklaster auf der staubigen Fahrbahn. Oben auf dem Tank saßen schon einige Männer. Er hielt an und wir durften zu unserem Erstaunen mit aufsteigen. Von dort hatten wir eine tolle Übersicht.
Gelegentlich wurde die ansonsten eher steinige, karge Landschaft von grünen Flussläufen unterbrochen.
Vom nächsten größeren Ort aus nahm uns ein Bus mit, in dem wir aufgefordert wurden, deutsche Lieder zu singen. Eine Gitarre zur Begleitung war ja eine fast übliche Ausstattung für Hippies. Aber deutsche Lieder? Ich rümpfte die Nase und sah hilfesuchend zu Sarah: Freddy Quinn und sein „Junge, komm bald wieder...", waren alles, was mir dazu einfiel. Aber spielte es überhaupt eine Rolle, was wir sangen? Sie würden es ja doch nicht verstehen.
Sie waren freundlich und beim nächsten Busstop luden sie uns ein, etwas mit ihnen zu trinken. Wir saßen dann in einem Straßenkaffee und waren die Attraktion. Man bemühte sich, jemanden zu finden, der uns verstünde, damit wenigstens etwas Unterhaltung zustande kam. Ich erinnere mich noch, dass es einmal jemand auf französisch versuchte, aber enttäuscht wegging, als er merkte, dass meine Französischkenntnisse schnell erschöpften.
Der Vansee liegt in einer Gegend, die Karl May wohl als das „Wilde Kurdistan" bezeichnet und als gefährlich geschildert hatte. Nichtsdestoweniger waren wir schockiert, als uns dort beim Campen ein Ehepaar, das mit eigenem Auto unterwegs war, berichtete, dass sie aufgrund der Straßenverhältnisse nur etwa 300 km pro Tag schaffen könnten. Unserer Karte zufolge, die ich kurz vor unserer Reise hastig aus meinem Schulatlas herausgerissen hatte, schätzte ich die Entfernung bis zur Hauptstrecke Istanbul - Teheran auf etwa 500 KM. Auch berichteten sie von Überfällen auf Touristen. Ein Paar wurde wohl ermordet, weil sie mit ihrem Rucksack reich aussahen....!
Eingepfercht zwischen stinkenden, blökenden Schafen standen wir mit anderen Menschen auf der Ladefläche eines Lkw und etwa 70 km vor Erreichen der ersehnten Hauptstrecke war die Fahrt in einem kleinen Dorf zu Ende. Über die einzige Verbindung mit der Außenwelt war unser Viehtransporter in den Ort gefahren. Wie sollte es von hier weitergehen? Es fanden sich weder eine Fahrgelegenheit, noch eine weiterführende Straße.
Ich stellte mir vor, dass wir in 1-2 Tagen die Hauptstrecke wohl auch zu Fuß erreichen  können. Noch am selben Abend wollten wir uns auf den Weg machen.
Wir hatten kaum den Ortsrand erreicht, als uns Kinder nachliefen. Das war eigentlich nichts Neues. Man gewöhnte sich an die Rufe: "Hey Mister, do you speak English? OK. OK. OK.!" 
Mehr Englischkenntnisse hatten diese Kinder sowieso nicht. Doch diesmal war es anders. Die Kids führten uns regelrechte Theaterstücke vor. Sie wollten uns vor schießwütigen Wegelagerern warnen. Sollte dies Realität sein? Konnte es nicht vielmehr so sein, dass sie wollten, dass wir in ihrem Ort blieben, um dort von ihnen in der Nacht ausgeraubt zu werden?
Wir waren zu allem entschlossen und gingen weiter. Die Kinder resignierten und ließen uns ziehen. Kurz darauf trafen wir einen Soldaten. In gebrochenem Englisch ließ er uns wissen, dass es in der vor uns liegenden Gegend Banditen und große, wilde und gefährliche Hunde gäbe. Er schlug vor, für die Nacht in seiner Kaserne Unterschlupf zu suchen.
Von welcher Seite drohte uns denn nun wirkliche Gefahr: von Mörderhunden, von skrupellosen Banditen, von den Kindern oder gar von Soldaten, die möglicherweise Sarah missbrauchen würden?
Der Soldat erklärte uns, dass ihn sein Kommandant geschickt habe und dieser besser Englisch spräche. Wir folgten ihm wie willenlose Schafe, die man zur Schlachtbank führt. Doch zu unserer Überraschung entpuppte sich der Aufenthalt in der Kaserne als ein ehrenwerter Empfang. Wir wurden zu einem Essen eingeladen, das aus mehreren Gängen bestand.
Man war begierig zu erfahren, wie es denn nun in Deutschland aussähe, nachdem Hitler nicht mehr an der Macht sei. Zunächst verstand ich die Welt nicht mehr und glaubte, ich sei in einem falschen Film. Nach und nach erfuhr ich dann, dass es zwischen Atatürk, dem „Vater der Türkei" und Hitler doch gemeinschaftliche Ideen gab und diese offenbar Freunde gewesen waren.
Wir durften im Büro des Kommandanten schlafen und hätten überallhin in der Welt telefonieren dürfen. In einem Jeep unter Militärschutz wurden wir am nächsten Tag durch das gefährliche Gebiet geleitet. Es ging über einen Fluss, den man nur mit einem Geländewagen überqueren konnte, da es keine Strasse gab. Unterwegs begegneten uns dann auch tatsächlich edel aussehende „Raubritter" hoch zu Ross, mir Ohrringen geschmückt und mit Gewehren bewaffnet.
Unter der Obhut des Militärs fühlten wir uns aber sicher. Später sahen wir eine große Staubwolke auf uns zu rasen, die von zwei mächtigen Hunden ausgelöst worden war. Also auch das stimmte! Puh. Gut, dass man uns gehindert hatte, allein durch dieses Gebiet zu gehen.
Zu guter letzt zeigte man uns noch eine Touristenattraktion. Hinter einem Felsen gelegen fanden wir einen Waschplatz an einer Quelle. Dort wuschen Frauen ihre Wäsche, die sie dann zum Trocknen auf dem Felsen ausbreiteten. Der Ort selbst war wunderschön, aber ich fragte mich, wo denn in dieser Gegend überhaupt Menschen wohnen würden.
So erreichten wir dann sicher die Hauptstrecke Richtung Teheran. Wir bedankten uns sehr, sehr herzlich bei den Soldaten, die dann noch einen Reisebus anhielten und uns eine kostenlose Fahrt zur persischen Grenze verschafften.
Unterwegs wollte uns zwar der Schaffner trotzdem Geld abknöpfen, aber wir beriefen uns entschieden auf das Militär.
 
An der persischen Grenze durfte ich endlich meinen Kopf von dem gewickelten Turban erlösen. War das eine Wohltat für die Haare im frischen Wind. Oft fuhr ich mit beiden Händen durch mein Haar, weil es sich super anfühlte. Es war eine Art von Freiheit.
Hier trafen wir auch auf eine Menge junger Freaks. Wir unterhielten uns mit den Leidensgenossen, die alle einen Lift nach Teheran suchten. Aber so viele und so wenig Autos! Nun erfuhren wir näheres über die Einreiseerlaubnis. Von der Schlange der Wartenden mitgerissen, gelangten wir zum zuständigen Büro und erhielten unsere Visa.
Schließlich fanden wir einen Lkw, der bereit war, uns nach Teheran mitzunehmen. Da uns die beiden Männer, die im Lkw saßen, wenig vertrauenswürdig aussahen, fragte ich einen jungen Schweizer, ob er sich uns anschließen würde, was er bereitwillig tat. Die Männer im Lkw willigten ein und so saßen wir etwas beengt zu Fünfen in ihrem „MAC-Truck". Wir hatten das Gefühl, dass die beiden Männer es auf Sex mit Sarah abgesehen hatten und unser Vertrauen zu gewinnen suchten, indem sie uns andauernd zu Reis und Lammfleisch einluden. Als sie merkten, dass dies nicht zum gewünschten Erfolg führen würde, wollten sie den Schweizer dadurch „ausschalten", dass sie ihn den Truck fahren ließen. Als sie merkten, dass sie damit keinen Erfolg hatten, warfen sie uns mitten auf der freien Strecke nachts gegen zwei Uhr raus.
Uns blieb nichts übrig, als unser Zelt aufzubauen und bis zum Morgen trotz der Kälte zu schlafen.
Der Tag entschädigte uns dafür mit einer beeindruckenden Kulisse. Roter, steil aufragender Fels bildete einen wundervollen Kontrast zu der gelben, ausgebrannten Steppe.
Zunächst gab es keine Hoffnung auf Weiterkommen. Doch dann hält ein Lkw. Der Fahrer, ein Christ, wie sich noch herausstellte, nimmt uns mit nach Teheran. Wenn man so 50KM pro Stunde rechnet, dann waren das etliche Stunden, die wir mit ihm zusammen verbrachten. In Teheran angekommen, stellte er seinen Lkw auf seinem Hof ab, rollt auf der Pritsche sein Schlafpaket aus und lässt Sarah und mich darin schlafen. Es war ein echtes Bett mit frischer Bettwäsche. Herrlich.
Wüste, die wir nicht aufs Geratewohl durchqueren wollten, schließt sich hinter Teheran an und so beschlossen wir, die gute alte Eisenbahn zu frequentieren.
Teherans Bahnhof stellte so etwas wie einen großen Hippie-Treff dar und so fanden wir zu einem Engländer, der sich uns mit seiner Trommel anschloss. Er begleitete uns bis Indien.
Im Zug fand sich dann für uns alle ein Abteil. Sarah nutzte die Gelegenheit, schnell ein paar Sachen zu waschen, die sie dann ein paar Minuten aus dem Fenster hängte und dann getrocknet wieder hereinholte. Daran kann man erkennen, wie heiß es war.
Der Aufenthalt im Zug gab viel Gelegenheit zum Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung, die wir beim Trampen nicht in dem Maße gehabt hätten.
 
Fieber und Durchfall machten Sarah in Mesched, der vorletzten Stadt in Persien zu schaffen. Ein Amerikaner, der ebenfalls unterwegs war, versuchte sich in Meditation und okkulten Praktiken, konnte aber keine Besserung bewirken.
Der Verzweiflung nahe fuhren wir trotzdem weiter. Wir waren nun eine fast festgeformte Reisegruppe. Abends stiegen die meisten aus dem angemieteten Van aus, um der Sonne zu huldigen. Mir war das alles zu mysteriös; Sarah hatte damit wohl keine so große Probleme damit, sonst hätte sie auch nicht dem Amerikaner erlaubt, auf ihren Bauch die Hände aufzulegen, damit es ihr besser werden sollte.
 
In der Gesellschaft von allen möglichen Freaks fuhren wir in einem Bus in Richtung Afghanistan. Mir gingen seltsame Gedanken durch den Kopf, wie es zum Beispiel sein würde, nach Hause zu kommen, wenn Sarah unterwegs gestorben wäre. Nie zuvor war ich so existentiell betroffen.
Von der Afghanischen Grenze bis zur ersten Stadt, Herat, chartete unsere kleine Hippie-Reisegruppe einen Minibus, wobei noch heftigst verhandelt wurde.
In Herat landeten wir in einer Absteige für Leute unseres Schlages: umgerechnet etwa 10 Cent pro Nacht und Person. Es gab einen Schlafraum, in dem im Kreis Holzbetten aufgestellt waren.
Sarah baute immer weiter ab; ich musste irgend etwas unternehmen.
Ich suchte eine Mitfahrgelegenheit, um nach Kabul, der Hauptstadt Afghanistans, zu kommen. Diese Gelegenheit bot sich uns in Gestalt eines Franzosen, der mit seinem Ford Transit unterwegs war und uns mitzunehmen bereit war. Er kaufte "Souvenirs" ein, um sie dann für teures Geld in Frankreich wieder zu verkaufen. Davon lebte er.
Von der sicherlich atemberaubenden Landschaft bekam ich so gut wie nichts mit, bis der Franzose mich mit den Worten: "Da vorne seht ihr Kabul!" aus meinen düsteren Gedanken riss. Ich weiß nur noch, dass es etliche Strassenkontrollen gab. Und unterwegs sah man die Bevölkerung: Kinder hatten wegen dem Dreck schwarze Füße und am Morgen wusch sich ein Mann mit einer Wasserkanne das Gesicht; das war wohl seine tägliche Wäsche.
In Kabul stiegen wir wieder in einer Hippie-Absteige, in der Nähe von „Willi´s Puddingshop" ab. Die Hoffnung auf Besserung von Sarahs Zustand war leider nur ein Wunsch, der nicht in Erfüllung gehen wollte. Als ich am Abend in die Stadt ging, um für Sarah frisches Obst zu kaufen, traf ich auf völlig verdreckte, westliche Jugendliche, die barfuß herumliefen. Man konnte sie kaum von den spielenden, einheimischen Kindern unterscheiden, die ebenfalls barfuß waren. Eine Schicht aus Dreck und Hornhaut ersetzte das Schuhwerk. Diese Freaks bettelten mich um Geld an. Ich war zutiefst geschockt und dermaßen angewidert, dass ich innerlich stöhnte und hoffte, nie so tief zu fallen. Normalerweise gaben wir jedem Geld. Aber hier war ich so schockiert, dass ich nichts geben konnte.
Da sich Sarahs Zustand verschlimmerte, suchte ich in einem Hotel, in dem Touristen, keine Hippies, absteigen, nach einer Rückfahrgelegenheit nach Deutschland. Ich entdeckte vor einem Hotel einen blauen VW-Bus aus Deutschland. Ich wartete einfach auf den Besitzer. Er kam. Ich fragte ihn, ob er nach Deutschland fahren würde. "Nein" sagte er und fragte mich, worum es ginge. Ich berichtete ihm über Sarahs Zustand und dass wir deshalb schnell nach Deutschland zurück wollten. Er sagte, dass er helfen könne, da er Arzt sei.
Ihn schickte der Himmel! Er hatte den ganzen Bus voller Medikamente. Er kam sofort mit zu ihr. Er versorgte sie mit Medikamenten und guten hygienischen Ratschlägen. Einer der Ratschläge war dieser, dass wir nicht auf die Toiletten sitzen, sondern stehen und dann in die Hocke gehen sollten.
Sarah's Zustand besserte sich zusehends. Noch vor wenigen Tagen waren wir bereit, mit den letzten 150 Euros nach Deutschland zurück zu kehren. Doch nun, da es Sarah merklich besser ging, waren wir wieder voller Hoffnung und Enthusiasmus. Bis hierhin hatten wir etwa 150 Euro ausgegeben und hatten noch etwa die gleiche Summe bei uns.
Es konnte kein Zweifel mehr bestehen - wir wollten weiter - nach Indien.
Übrigens nutzten wir seit Kabul einen illegalen Studentenausweis, mit dem unser Reisen mit Bahn und Bus etwa um die Hälfte billiger wurde. Was studierten wir eigentlich? Parapsychologie. Das war relativ unverfänglich, da konnte man immer aus dem Handgelenk mitreden. Außerdem wollten wir ja in Indien intensiv Yoga praktizieren und das hat doch eine gewisse Nähe zur Parapsychologie, oder?
Als Sarah sich soweit wieder erholt hatte, fuhren wir in Begleitung des Engländers weiter. In Pakistan trampten wir bis Lahore im Süden des Landes. Dort mussten wir auf einem Amt eine Passiererlaubnis (Roadpermit) holen.
Hier erwischte es mich. Diesmal wurde ich krank. Vergraben unter allen zur Verfügung stehenden Decken, versuchte ich, die Krankheit auszuschwitzen. Trotz meines beklagenswerten Zustands fuhren wir am nächsten Morgen mit einem Motorradtaxi zum Amt. Schwer zu sagen, was mir am meisten zusetzte, mein Zustand, der allgemeine Verkehr oder der Fahrstil unseres Fahrers. Zurück ging ich lieber zu Fuß.
 
50 KM trennten uns noch von der indischen Grenze. 50 KM trennten uns vom Paradies.
 
Welch ein unbeschreibliches Gefühl nach so langer Reise. Da vorne der Schlagbaum, daneben einzelne Hütten (sicher Büros), dahinter die hohen Bäume, welche die Straße säumten und auf denen viele bunte Papageien saßen. Es war ein großer Augenblick für mich. Zwar sah man hier an der Grenze etliche Hippies, die wohl keine Würde mehr hatten. So trafen wir hier ein Pärchen, wo sie sich zur Prostitution gab, damit sie Geld hätten. Auch trafen wir sehr junge Menschen, ja Kinder, 14 bis 15 Jahre. Dass wir nicht gerade besser waren, erkannten wir nicht. Dies erkannte ich erst viel später, als ich Christ war.
 
Wir erhielten Visa für 90 Tage.
Noch heute erinnere ich mich an das großartige Gefühl, das sich meiner bemächtigte, als ich erstmals diese lange Straße auf indischem Boden entlang schlenderte. Alle Strapazen und Gefahren fielen von uns ab angesichts der Tatsache, dass wir im Land unserer Träume angekommen waren.
Ein Rikschafahrer „nötigte" uns, in sein Gefährt einzusteigen. So machten wir es uns hinten auf seinem Gefährt bequem, während er vorne sein armes Muli gnadenlos antrieb. An solche Schinderei nicht gewohnt, konnte ich es kaum erwarten, dass dem Martyrium ein Ende bereitet wurde, bzw. ich nicht mehr den Anlass dafür bieten würde.
 
Wieder stiegen wir in einer typischen Hippie-Absteige ab und verbrachten hier einige Tage zur Erholung. Wir tranken viel „Chai" - Tee, der mit viel Zucker angeboten wird. Man gießt den Tee aus der Tasse in die Untertasse, aus der man den Tee schlürft.
Als wir nach Delhi aufbrechen wollten, wurden wir nachhaltig daran erinnert, außerhalb der gewohnten zuverlässigen Zivilisation zu sein. Der Bahnhofsvorsteher, der normalerweise die Tickets für Bahnreisen verkauft, war für einige Tage nicht da. Einen Vertreter gab es nicht. Also waren wir gezwungen, noch ein paar Tage zu bleiben.
In unserem Hotel trafen wir auf Sikhs. Die Sikhs sind eine Religionsgemeinschaft, die man daran erkennt, dass sie die Haare auf der Stirn zu einem Knoten zusammenbinden und einen Turban tragen. Des weiteren gehören ein Kamm, eine Unterhose und ein Armreif unbedingt zur vollständigen Ausstattung eines Sikhs. Sie erzählten uns von Amritzah, dem Ort ihres Heiligtums und schenkten einem jeden von uns einen Metallarmreif, den wir später in Deutschland mit einer Säge abtrennten.
Ab hier trennten sich unsere Wege mit dem Engländer, der mit seiner Trommel unterwegs war und fast pausenlos trommelte.
Irgendwo hatten wir die Adresse von einem Augenarzt erhalten, der in dieser Gegend eine Blindenstation leitete. Wir besuchten ihn, blieben einige Tage und durften bei ihm unser schweres Gepäck lassen.
Auf seiner Veranda saß ich auf einem Stuhl und genoss die Kühle des Abends, als plötzlich etwas lebendiges auf meine nackte Schulter fiel. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, als ich die Echse erblickte. Es war dies mein erster Kontakt mit einem solchen Tier, obwohl sie in Massen an den Hauswänden hängen.
Hier musste ich auch etwas "englisch" nachlernen. Der Arzt fragte am Mittag, ob wir etwas besonderes, etwas, das 'hot' ist, essen wollten. Er brachte das Geheimnis und ich wunderte mich, da es gar nicht 'heiß' war. Doch beim ersten Bissen lernte ich etwas mehr englisch: es war "hot", ja, sehr scharf!
Endlich bestiegen wir den völlig überfüllten Zug nach Delhi. Aus Platzmangel saßen wir oben auf der Gepäckablage. Die Inder, die von der Regierung durch Geburtenregelung vor Probleme gestellt wurden, wunderten sich oft, dass Sarah und ich keine Kinder hatten und obwohl dies unsere Intimsphäre unangenehm berührte, wollten sie doch wissen, wie wir mit dem Problem umgingen.
 
Die Inder interessierten sich, wie wir ohne Geburtenkontrolle keine Kinder hatten und wir, unsererseits, interessierten uns dafür, wo wir einen Guru finden würden, bei dem wir lernen könnten. Offenbar glaubte jeder, alles darüber zu wissen. Sie demonstrierten uns, wie man atmen sollte und welche Körperhaltung richtig sei. Wir gingen aber nicht näher auf ihre Instruktionen ein, denn wir suchten ja nach einem echten Guru.
Das Hotel in Delhi war eigentlich recht akzeptabel, nur das Wasser wurde zu gewissen Stunden abgestellt. Als wir in einem Restaurant essen wollten, war ich zunächst enttäuscht, als ich den Teller mit einer sehr kleinen Portion Reis und Gemüse vor mir sah und ich bezweifelte stark, damit auch nur annähernd satt werden zu können. So nahm ich denn den ersten Bissen und griff sofort nach einem Glas Wasser. Das Essen war so scharf gewürzt, dass ich schon durch das viele Wasser satt wurde.
Mit Yoghurt und frisch gepresstem Orangensaft ließ sich unser Magen nach so einer Mahlzeit wieder versöhnlich stimmen.
 
Irgendwer gab uns eine Adresse eines Ashrams in Delhi. Das ist eine Schule, in der man in Meditation und Yoga unterwiesen wurde.
Als wir vor dem Direktor der Schule saßen und gerade mal 100 Euro mit uns hatten, hofften wir auf einen kostenlosen Unterricht. Wir wollten zwar „befreit" werden, hatten dabei aber nicht das Geld im Auge, sondern unsere kulturellen Lasten. Als er hörte, dass wir aus Deutschland kämen, „befreite" er uns statt dessen von unserer Naivität und legte uns nahe, nach Deutschland zurück zu kehren und uns dort mit Geld zu versorgen. Damit könne er uns dann die beste Ausbildung angedeihen lassen.
Konnte das sein? Wir waren auf der Suche nach etwas Höherem. Nach Erleuchtung, nach der Verschmelzung mit einem spirituellen Sein. Und das sollte nur mit schnödem Mammon zu erwerben sein! Also doch: Money makes the world go around!
Wir waren geheilt! Wenn jemand Geld dafür haben wollte, uns mit dem Universum oder mit Gott zu verbinden, dann wollten wir keinen Guru mehr.
Warum konnte ich nicht umdenken und mich ganz dem Hinduismus ausliefern? Ich hatte mich immer auf das Christentum berufen und auf meine langen Haare angesprochen, Jesus als Vorbild angeführt.
War es nicht doch so, dass Gott uns durch die Umstände davor bewahrt hatte, eine Religion zu wählen, die in die Irre führte? Obwohl wir in Goa von Baghwan hörten und in seinem großen Park in Bombay überall Hippies Yoga praktizierten, hatte das alles irgendwie seinen Reiz für uns verloren.
Man bedenke noch dies: In der indischen Religion gibt es Kasten. Die eine Kaste beherbergt Adlige und die unterste sind die 'Unberührbaren'! Die unterste Kaste hat keine Möglichkeit, aufzusteigen. Das kann im 'nächsten Leben' passieren, dass sie dann in eine obere Kaste hineingeboren werden - oder als Fliege...!
Und nun kommt ein Europäer, der ja in gar keiner Kaste zu finden ist, den es ja gar nicht gibt - und der kann Yoga machen, also in die oberste Kaste direkt einsteigen! Unfassbar! Heute bin ich froh, dass ich die Begeisterung für diese Lebenseinstellung verloren hatte und Christ wurde.
 
 
 
Yoga war also abgehakt. Was nun? Eigentlich wollten wir auf Peter warten, der uns in Jugoslawien wieder verlassen hatte, um erst noch in Deutschland viel Geld zu verdienen, um dann mit einem Auto nachkommen zu können. Wir hatten uns verabredet, in Indien auf ihn zu warten. Dies wollten wir nun tun und begaben uns nach Goa.
 
Goa war früher eine portugiesische Kolonie, die angeblich von Thomas, einem der zwölf Apostel, christianisiert worden war. Viele Hippies begaben sich dorthin.
Wir entschlossen uns, mit dem Zug nach Bombay zu fahren. Vom Zug aus kam man nicht mit den Elendssiedlungen in Berührung, die sich wie ein Gürtel um Bombay legten. In Bombay selbst empfand ich es sehr europäisch. Natürlich war das nur deshalb, weil wir uns an das Umfeld gewöhnt hatten.
Da wir unser letztes deutsches Geld nicht für Hotels verbrauchen wollten, beschlossen wir, draußen zu übernachten. Unter einem Kuppeldach rollten wir, als sich die Nacht hereinbrach, unsere Schlafsäcke aus.
Als sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, glaubten wir unseren Augen nicht zu trauen. Wir waren von Mumien umgeben.
Können Mumien atmen?
Die Szenerie war zu gespenstisch, um nicht auch nur eine Minute länger hier zu bleiben!
Von einem Araber hatten wir gehört, dass man den Kopf auf die Schuhe legen soll und damit zu verstehen zu geben, man sei ein armer Mensch, dem man nichts stehlen dürfe.
Aber wir waren erkennbar Westler. Würde das bei uns auch funktionieren? Darauf wollten wir uns nicht verlassen.
Wir verkrochen uns in den Flur des nächst besten Hotels. Dort lernten wir zwei Berliner kennen, die wir am Tage auf ihrem Zimmer besuchten. Den ganzen Tag lagen sie auf ihren Betten und beschäftigen den Kellner, der ständig ihre Bestellungen in den dritten Stock schleppte, mal Bier, mal Zigaretten. Ich war schockiert. In Deutschland schimpften sie sicher über die Kapitalisten und hier führten sie sich wie Paschas auf.
Als Krönung des Schauspiels warf einer der beiden sein Hemd aus dem Fenster, um seinen Reichtum zu demonstrieren. Dann überlegte er es sich anders, rannte die Treppe hinunter und wollte es wieder holen, aber es hatte schon einen Liebhaber gefunden.
Am Abend stolzierte ein junger Inder damit vor dem Hotel auf und ab. Die beiden amüsierte das sehr, aber uns war das zu primitiv. Wir rauchten zwar mit ihnen Haschisch, was bei uns auch zu Gelächter führte, aber sonst hatten wir genug von den Kapitalisten in Hippie-Verkleidung.
Aus Goa traf ein junger Amerikaner ein, der nach Kathmandu wollte. Er erzählte uns, dass er in Goa ein Häuschen gemietet habe und da er auf dem Weg nach Norden war, gab er uns den Schlüssel. Eine Unterkunft in Goa war gesichert. Ein Schiff, das wir diesmal bestiegen, brauchte einen Tag und eine Nacht bis Goa. Am Morgen gingen wir von Bord.
 
Der Beschreibung zufolge sollten wir uns, wenn wir von Bord kamen, links halten. Ein traumhafter Sandstrand zog uns in seinen Bann. Hier mussten die Fotos der Reisekataloge eingefangen worden sein. Wir wähnten uns in einem indischen Paradies. Ich krempelte meine weiße indische Hose hoch, die ich mir in Delhi hatte anfertigen lassen und wandelte beglückt den Strand entlang.
Nach einiger Zeit sahen wir ein Kloster, das den Strand teilte. Wir aber mussten noch weiter, über einen kleinen Fluss und erreichten das kleine Dorf, in dem der Amerikaner ein Häuschen gemietet hatte. Es war schnell gefunden. Von Hippies erfuhren wir, dass man im Dorf Zucker und Marmelade kaufen konnte.
Der Ort war eine grüne Anlage. Es gab keine Straßen, sondern nur Trampelpfade, die ungeordnet zu den einzelnen Häusern führten. Irgendwo stand sogar eine Kirche. Sehr idyllisch das ganze. In dem Laden kauften wir Zucker, Tee, Marmelade und Brötchen. Als wir zum Häuschen zurückkamen, waren die dort verbliebenen Vorräte aus Bombay sauber geleert. Zunächst glaubten wir an Diebe, später stellten wir fest, dass freilaufende Hausschweine ein Abendessen gefunden hatten.
Während unser kleines Dorf direkt am herrlichen Sandstrand lag, der vom Kloster unterteilt wurde, lag am anderen Ende des Strandes der Ort, in dem eine Post angesiedelt war und man Tee trinken bzw. einkaufen konnte. Abgesehen von den Hippies, die nackt und stolz am Strand herumliefen, war dieser menschenleer. Zu den Hippies fanden wir einfach keinen Kontakt. Unsere Enttäuschung über die dort lebenden Hippies saß zu tief. Ihre Welt war einfach nicht die unsere. Auf einem länglichen Hausdach hatte einer ein großes, weißes „Peace"-Symbol gemalt. Als wir hingingen, sahen wir, dass drinnen eine Gruppe gerade mit einer Haschisch-Zeremonie begonnen hatten.
Eine Pfeife wurde hergerichtet und dann herumgereicht. Der Eigentümer des Hauses war sicher aus reichem Elternhaus. Es gab hier viele solcher Jugendlichen aus reichen Verhältnissen. Ihre Eltern zahlten ihnen den Aufenthalt, damit diese „schwarzen Schafe" die Geschäfte nicht störten. Einen anderen Sinn schien ihr Dasein hier nicht zu haben.
Manche verschickten so genannte „Haschischbriefe", um ihren Aufenthalt zu finanzieren.
Als die Pfeife mir gereicht wurde, lehnte ich dankend ab, weil wir gerade frisch aus Bombay ankamen. Wir ernteten ein „Fuck off!". Wir wurden hinausgeworfen.
Es gab hier die verrücktesten Typen. Einer nannte sich zum Beispiel „James Bond Butterfly".
Da wir auf Peter warten wollten, mussten wir sparsam leben. Das Geld sollte solange reichen, wie wir in Goa auf ihn warten mussten.
Wie stand es eigentlich um unsere Finanzen? Als Sarah schwer erkrankt war, hatten wir noch 150 Euro gehabt. Nun hatten wir noch 50 Euro in deutscher und etwas in indischer Währung. Wir lebten von braunen Brötchen, Honig und Bananen.
Die Bananen schnitten wir längs durch, so dass zwei Schiffchen entstanden, die man mit Honig befüllen konnte. Mit einem Löffel schabten wir dann die süße Mahlzeit, die sich dann etwa eine halbe Stunde hinzog. Langsames Essen war wichtig, um wenigstens das Gefühl zu haben, genug gegessen zu haben.
Wenn wir nicht am Strand spazieren gingen, verbrachten wir die Zeit mit einem Amerikaner aus Las Vegas. Er war wohl auf der Flucht vor der Polizei aus Las Vegas abgereist. Er formte tagein, tagaus Köpfe aus Ton und verhielt sich sonst recht kumpelhaft.
Sogar der Gang zur Post bot eine gewisse Abwechslung im gleichförmigen Dasein. Man stürzte sich sozusagen ins Gewühl. Kurioserweise gab es in dem ganzen Ort nur eine einzige elektrische Glühlampe, die irgendwo an einem Haus hing. Darin erschöpfte sich die Nachtbeleuchtung. Tagsüber knatterten rußspuckend und fauchend Busrelikte aus längst vergessenen Tagen durch den idyllischen Ort.
Nachdem wir das Häuschen verlassen mussten, schliefen wir am Strand. Einmal boten uns am Horizont große Fische, die aus dem Wasser sprangen, ein unterhaltsames Schauspiel zum Morgen. Vermutlich waren es Delphine.
An einem anderen Morgen legte sich ein verwahrloster Hund zu unseren Füßen auf unseren Schlafsack. Eigenartige Gedanken gingen mir durch den Kopf: „Könnte ich ihm ein Freund sein?"
Ein andermal kam ein verwahrloster Hippie, der um Brot bettelte. Wir hatten aber wirklich keines. Er hörte aber erst gar nicht richtig zu und begann sofort Flüche auszusprechen: „You never travel together, you ever travel together!" Er wirkte sehr finster und wir hatten den Eindruck, er arbeite mit okkulten Mitteln, doch der zweite Teil des Fluchs, „You ever travel together", erleichterte mich wieder, obwohl die positive Rede den Fluch bekräftigte! Ich aber verstand diese Redewendung nicht. Deshalb schickten wir ihn erleichtert weiter.
Ein Inder wohnte in einer Garage. Dieser lud uns ein, bei ihm zu wohnen. Er kochte für sich und uns. Einmal spendierte er uns ein Wassereis.
Man feierte gerade ein hinduistisches Fest, bei dem auf der Straße Körner und Süßigkeiten verschenkt wurden. Es wurden auch Süßigkeiten ins Meer und andere Wasser geschmissen, um die Götter zu beruhigen. Mir kommt dabei eine Aussage von Paulus aus dem 1. Korintherbrief, Kapitel 12 in den Sinn. "Ihr wurdet zu stummen Götzen fortgerissen."
Einmal veranstalteten die Hippies eine große Party. Sie hatten von den Einheimischen ein Ferkel gekauft und grillten es über einem Feuer. Wir hatte keinen Appetit darauf, denn wir wussten, was die Schweine hier fraßen.
Woher wusste ich das? Auf den Wiesen standen Klo-Häuschen. Sie waren einfach so auf die Wiese gestellt, ohne dass man vorher eine Grube ausgehoben hatte. Interessanterweise waren sie weder schmutzig, noch stanken sie. Natürlich wollte ich wissen, wo die Fäkalien blieben.
Das Häuschen hatte eine Tür mit einem ausgeschnittenen Herzen als Belüftung. Innen stand eine Kiste mit einer Öffnung in der Oberseite, auf der man sitzen oder stehen konnte, um sein Geschäft zu verrichten. Neben der Kiste stand ein Stock, dessen Sinn sich meiner Vorstellung entzog. Und die Kiste hatte noch nach hinten eine Öffnung.
Ich probierte es aus.
Gerade war ich fertig, als ich ein Grunzen vernahm. Da kam eine Sau und steckte seinen Kopf durch die hintere Öffnung. Jetzt wusste ich, dass der Stock dazu diente, die Sau solange auf Abstand zu halten, bis man seiner Wege ging. Also verscheuchte ich den biologischen Fäkalienverwerter. Bon Appetit!
 
Kurz vor November erhielten wir Post von Peter, leider nur eine Postkarte mit den wenigen Worten: "Ich habe eine gute Arbeit und verdiene gutes Geld. Ich kann nicht kommen."
Ich war wie gelähmt. Wieder und wieder las ich diese knappen Worte, als müsste ich darin einen verborgenen Sinn entdecken.
Man muss sich das mal richtig vorstellen: wir sitzen hier mit knapp 50 Euro ca. 10.000 KM von zu Hause entfernt und wissen nicht, ob inzwischen Kriegshandlungen zwischen Indien und Pakistan ausgebrochen sind und unser „Freund" teilt uns lapidar mit, dass er uns wegen Geld und Arbeit „fallen" lässt.
Nachdem wir den Schock verdaut hatten, planten wir die Rückreise. Unser Amerikaner aus Las Vegas versorgte mich zum Abschied mit einer Stange Zigaretten und wünschte uns eine gute Reise.
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